bei Fabian Streiff, Leiter Standortförderung Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich
Der Fachkräftemangel ist in vielen Branchen akut. Welche Möglichkeiten hat der Kanton Zürich, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
Für uns ist klar, dass der Fachkräftemangel nicht von heute auf morgen gelöst werden kann. Deshalb müssen wir Wege finden, damit Zürich langfristig auf genügend Fachkräfte zählen kann. Hier ist die Ausbildung von jungen Talenten einer der wichtigsten Hebel, um dem Fachkräftemangel aktiv entgegenzutreten. Wir versuchen, mit unterschiedlichen Projekten einen Beitrag zu leisten: Erstens machen wir mit den «Informatiktagen» gemeinsam mit Firmen, Verbänden und Bildungseinrichtungen Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf die vielfältigen Berufschancen in der ICT-Branche aufmerksam. Zweitens mit dem «KI-Wettbewerb für Schülerinnen und Schüler», welchen wir gemeinsam mit dem Kanton Schwyz initiiert haben und der vom ETH AI Center organisiert wird. Mit diesem wollen wir junge Menschen für künstliche Intelligenz begeistern und ihnen die Möglichkeit geben, ihre erste eigene KI zu programmieren. Und drittens unterstützen wir den Digital Economy Award, der dieses Jahr zum ersten Mal einen «ICT Education Excellence Award» verleihen wird. Damit wollen wir jenen danken, die jedes Jahr aufs Neue grossartige Leistungen in der Nachwuchsförderung erbracht haben. Darüber hinaus sollten aber auch neue Wege eingeschlagen werden, um neue Talente anzuziehen und zu halten. Besonders bei den Quer- und Wiedereinsteiger/innen ist noch ein grosses Potenzial vorhanden.
Wie schätzen Sie die unterschiedliche Haltung der verschiedenen Generationen zum Stellenwert der Erwerbstätigkeit ein und welche Auswirkungen hat das auf die Zürcher Volkswirtschaft?
Die Perspektive der jüngeren Generationen auf die Arbeitswelt bringt verschiedene Vorteile mit sich. Nehmen wir als Beispiel den stärkeren Fokus auf die Work-Life-Balance: Wer hier ein gutes Gleichgewicht findet, ist weniger stark gefährdet, gesundheitsbedingt aus dem Arbeitsleben auszuscheiden und vielleicht später auch willig, über das Rentenalter hinaus erwerbstätig zu sein. Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel hat das Thema «Teilzeit» sowie «Vereinbarkeit von Familie und Beruf» einen sehr grossen Stellenwert. Wenn unsere Wirtschaft in den nächsten Jahren so weiterwachsen soll, fehlen der Zürcher Wirtschaft bis ins Jahr 2050 gemäss Zürcher Wirtschaftsmonitoring vom Dezember 2021 rund 210'000 Arbeitskräfte. Im Kanton Zürich belief sich 2020 die stille Reserve – also Nichterwerbspersonen, die zusätzliches Arbeitspotenzial besitzen – auf rund 34’000 Personen, 60 % davon Frauen. Neben dieser stillen Reserve schlummert auch zusätzliches Arbeitskräftepotenzial bei Teilzeiterwerbstätigen, die gerne mehr Stunden arbeiten möchten, nämlich rund 62’000 Personen, 70 % davon Frauen. Obwohl die Erwerbsquote von Frauen in den letzten Jahren bereits stark gestiegen ist, könnten zusätzliche Anreize geschaffen werden, um deren Erwerbstätigkeit weiter zu erhöhen. Auch im Bereich Innovation bringen Teams mit hoher Diversität, bezogen auf Alter sowie Geschlecht, viel Positives mit. Das bedeutet, dass die Unternehmen, die es sehr gut verstehen, den unterschiedlichen Bedürfnissen zu entsprechen, besonders wirkungsvoll sein werden.
Sehen Sie Unterschiede beim Fachkräftemangel in der Privatwirtschaft im Vergleich zu Staatsbetrieben wie z. B. Gemeindeverwaltungen?
Der öffentliche Sektor ist vom Fachkräftemangel in der Tendenz gleichermassen betroffen wie die Privatwirtschaft – mit Ausnahme natürlich vom Gesundheitsbereich, in welchem besonders bei den Pflegeberufen ein starker Fachkräftemangel herrscht. Die Arbeitgeber stehen also vor ähnlichen Herausforderungen.
Was können Arbeitgeber/innen tun, um dem Fachkräftemangel im eigenen Betrieb entgegenzuwirken?
Genau diese Frage wollen wir mit dem Projekt «Züri Skills» beantworten. Wir möchten herausfinden, was die zukünftigen relevanten Skills in den Schlüsselbranchen Finanzwirtschaft und ICT sind. In Interviews mit C-Levels und HR-Spezialistinnen und -Spezialisten sollen ausgehend von der Unternehmensstrategie sowie nachgelagert von der HR- und Entwicklungsstrategie Erkenntnisse zu den gefragtesten Skills von morgen gewonnen werden. Darauf aufbauend soll der Frage nachgegangen werden, wie bereits heute entsprechende Skills auf- oder ausgebaut werden können. Und wir wollen in Erfahrung bringen, welche Schritte das Unternehmen unternimmt oder plant, um seine Belegschaft gezielt zu entwickeln und welche Erwartungen an Dritte – also Staat, Hochschulen oder Verbände – bestehen. So können wir anschliessend gemeinsam mit Bildungsinstitutionen und der Wirtschaft definieren, mit welche Massnahmen der zukünftige Fachkräftepool gestärkt werden kann.